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Im Herz des Frankenreiches
Dass das jährliche Usertreffen ein voller Erfolg wird, ist eigentlich eine Banalität, das wird es ja immer. Organisatoren, die sich mächtig ins Zeug legen und Teilnehmer, die super drauf sind, sorgen regelmäßig dafür.
Die Informationen rund um das Thema Nierenerkrankungen tun ein übriges, Teilnehmer anzuziehen.
Der „offizielle“ Teil begann dann am Freitag mit der Jahreshauptversammlung des Vereins Nierenpatienten-online, die problemlos über die Bühne ging. Wesentliches Ergebnis: Der Vorstand wurde einstimmig entlastet und wiedergewählt: Herbert Mayer (Vorsitzender), Tina Wörpel (Stellvertreterin), Elena Matygina (Kasse) und Alexander Sebald (Schriftführer). Als Kassenprüfer wurden Melanie Witt und Hans-Dieter Wolf bestimmt.
Danach gab es eine eindrucksvollen Geschichtsstunde eines Tag- und Nachtwächters von Veitshöchheim, der nicht nur die Eigenheiten der Franken, sondern auch die wahren Realitäten der „guten alten Zeit“ ausgiebig beleuchtete (Bild 1)
Sofort nachzuvollziehen war, dass das riesige Frankenreich Kaiser Karls des Großen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr schrumpfte (einkochte wie ein guter Fond), so dass am Ende nur das beste vom Besten übrig blieb – Veitshöchheim natürlich.
Ebenso plastisch wir drastisch brachte es der Nachtwächter auf den Punkt, dass die tollen Bauten und der herrliche Park natürlich nicht von den Fürstbischöfen oder gar deren Mätressen gebaut wurden, sondern dass es die kleine armen Leute waren, die den Zehnt abgeben und obendrein schuften mussten. Da wurden den Zuhörern das damalige einfache Leben deutlich, viele Kinder, nix zu essen, kalte und zugige Häuser, aber immer unter der Knute der Fürstbischöfe. Eines der drastischen Beispiele: Für die armen Kinder gab es kein Brot aber die Schwäne im Rokokogarten fraßen jede Woche 100 Pfund davon....
Schon am ersten Tag zeigte sich, wie wertvoll der Erfahrungsaustausch in diesem Rahmen ist. Eines der großen Themen ist weiter der Organmangel, der sich unter anderem in vermehrten Lebendspenden niederschlägt. Hier waren vor allem die Erfahrungen der Paare gefragt, die auch gerne berichteten. Daneben findet die Peritonealdialyse (Bauchfelldialyse) großes Interesse, wozu es ebenfalls interessante Berichte Betroffener gab. Und schließlich der neueste Trend: Hämodialyse alleine zu Hause, auch dazu konnten gleich zwei Teilnehmer berichten, wie das denn überhaupt geht und wie man es am besten organisiert.
Der Samstag gehörte ganz der Kultur. Bei einer Rundfahrt durch Würzburg wurde jede Menge Geschichte lebendig. An allen Ecken standen Bauten, die Balthasar Neumann plante, die verschiedenen Fürstbischöfe sorgten stets für neue Paläste. Höhepunkt war die Residenz (Bild 3) mit der prächtigen Hofkapelle und dem Würzburger Hofgarten. Bei nicht zu warmem, aber schön trockenem Wetter zeigte sich Unterfrankens Hauptstadt von der besten Seite. Wenig Industrie, aber jede Menge Bildung, von den Schulen bis zur Universität und viele Behörden prägen heute die Stadt.
Und natürlich der Wein. Allen voran durch die Stiftungen und Weingüter Bürgerspital und Juliusspital. Das musste praktisch umgesetzt werden und geschah im staatlichen Hofkeller unter der Residenz. Denn so ein Fürstbischof musste „immer flüssig sein“, so um die 2 Millionen Liter Wein brauchte er im Jahr. Die Führung begann mit einem leckeren Tropfen und zeigte uns den „Beamtenkeller“ (damals gab es für die Beamten einen Teil des Gehaltes in Wein) und das ganze historische Gewölbe mit den riesigen Fässern. Erst löste es Erstaunen aus, dass die Leute damals 5 Liter Wein am Tag tranken, ja, dass der Fürstbischof sogar Wein aus dem Brunnen laufen ließ, um den Leuten das Weintrinken beizubringen, aber der Hintergrund war dramatisch: Wasser war damals derart verseucht, dass es schlicht lebensgefährlich war, so wurde der Wein, v.a. die zweite Pressung, zum Getränk der armen Leute.
Schließlich stand jetzt der Festabend an, bei jedem Treffen der Höhepunkt. War es auch diesmal. Erst lecker essen, dann den Organisatoren beklatschen und schließlich auf die Überraschung warten. Die hatte es in sich, denn zwei Teilnehmer, Fred (77) und Ena (68, Dialyse seit 21 Jahren; Bild 3), haben sich ihren Lebenstraum erfüllt und machen Musik. War die Darbietung auch nicht jedermanns Sache, so gab Ihnen der Erfolg doch mehr als Recht, denn es kam eine Stimmung auf wie auf dem Oktoberfest. Zu „Rivers of Babylon“ (Boney M.), „Ich war noch niemals in New York“ (Udo Jürgens) oder „Live is live“ (Opus) wurde geklatscht, getanzt und geschunkelt, was das Zeug hielt. Ein Beweis, dass weder Alter noch Dialyse ein Hindernis sein müssen.
Der Sonntag ist zwar der Tag des Abschieds, aber davor standen zwei Vorträge, die schon vom Thema her dafür sorgten, dass es im Vortragsraum eng wurde. Manfred Zimmermann stellte die Geschichte der Dialyse und der Dialysemaschinen sehr anschaulich dar. Erste Forschungen zu Osmose und Diffusion gab es bereits 1748, 1854 kam der Begriff „Dialyse“ auf und 1913 gab es erste Dialyseversuche an Kaninchen. Die erste Dialysebehandlung machte Dr. Georg Haas 1924 in Gießen am Menschen – keiner der Patienten überlebte.
Die erste erfolgreiche Dialyse gelang Willem Kolff 1945 mit seiner Trommelniere. Die Akutdialyse sicherte der 67-jährigen Patienten das Überleben. Stanley Shaldon brachte die Dialyse weiter voran, behandelte seine Patienten mit der „Selbst-Dialyse“. Der erste langzeitüberlebende Dialysepatient war Clyde Shields, bei dem ein permanenter Gefäßzugang (Shunt, damals ein externer Unterarmshunt) und das Gerinnungsmittel (Heparin) abgewendet wurden. Damit waren die Grundlagen gelegt, diese Prinzipien gelten heute noch.
Die Referenten (von links) Manfred Zimmermann und Dr. Kai Lopau sowie Organisator Thomas Fuchs.
Parallel wurden Dialyseapparate entwickelt, etwa von Awall 1947, Plattendialysatoren 1960, Spulendialysatoren 1965 und schließlich der Hohlfaser (Kapillar)-Dialysator, heute noch Stand der Technik. Manfred Zimmermann hatte da einige Bilder dabei, die zeigten, wie aufwendig (und gefährlich) damals experimentelle Dialysen waren, es musste nicht selten noch während der Behandlung geschraubt werden. In den 1950-er Jahren waren solche Maschinen monströs und furchteinflößend. Das erste industriell gefertigte Dialysegerät war die Drake-Willock, die 1967 nach Deutschland kam. Eine Maschine, die einigen der Zuhörer bekannt war, sogar aus eigener Erfahrung damit.
Damit begann eine weltweite Entwicklung, denn Dialyse war ein Markt und viele Firmen wollten da mitmischen, wie Zimmermann anhand eines Überblickes des heutigen Marktes zeigte.
Im zweiten Teil seiner Vortrages ging es um die Bauchfell-Dialyse. Da gab es bereits 1744 erste Versuche am Menschen und bereits 1923 führte Georg Ganter die erste erfolgreiche Behandlung durch – an der Universität Würzburg. Bis 1938 wurden in Deutschland und den USA regelmäßige Behandlungen durchgeführt, 1978 kamen die ersten System für die Peritonealdialyse zu Hause auf. Zimmermann erläuterte das Prinzip des Stoffaustausches über das körpereigene Bauchfell. Ein Verfahren, das auch wieder einige Zuhörer von der eigenen Anwendung her kannten. Seine Grafik von der Zunahme der Nierenerkrankungen war dramatisch, das geht exponentiell in die Höhe. Gründe sind in der immer älter werdenden Bevölkerung, in den vermehrten Krankheiten (v.a. Diabetes) und in den immer besseren Behandlungsmethoden zu suchen.
Viel Beifall für den sehr informativen Vortrag.
Der zweite Referent war Dr. Kai Lopau vom Transplantationszentrum der Universität Würzburg, sein Thema „Erlebte Medizingeschichte (auch) am Beispiel Würzburgs“. Er begann mit Meilensteinen der Transplantationsgeschichte. 1954 wurde in Boston erfolgreich eine Niere übertragen, erfolgreich, weil es sich bei Spender und Empfänger um eineiige Zwillinge handelte. Dass der Traum vom Organersatz uralt ist, zeigt ein Bild von Cosmas und Damian, die der Legende nach erfolgreich ein verfaultes Bein durch das Bein eines Mohren ersetzten.
Im 20. Jahrhundert gab es eine Reihe von Versuchen, Organe außerhalb des Körpers oder nach dem Wiedereinpflanzen am Leben zu erhalten und niemand konnte sich recht erklären, warum das nicht klappte. Sir Peter Medawar (Oxford) entdeckte durch zahllose Versuche an Nagetieren das Problem, nämlich die Arbeit der Lymphozyten, der Polizei im Blut. Weltweit arbeiteten dann verschiedene Gruppen an einer Lösung und mit Imurek (Sir Roy Caine, Cambridge) kam das erste, übrigens noch heute verwendete, Immunsuppressivum auf den Markt.
Der nächste sehr große Schritt waren die Erkenntnisse von Jon van Rood (Leiden), der nicht nur Eurotransplant gründete, sondern vor allem das HLA-System erkannte. HLA = humanes Leukozytenantigen-System. Er bewies damit, dass es auf die Ähnlichkeit der Faktoren ankommt, wenn eine Transplantation gelingen soll. Und dann wieder ein Meilenstein, Jean-Francois Borel und Sir Roy Caine entwickeln aus einem Pilz aus der Tundra (Tolypocladium inflatum) Cyclosporin A, also Sandimmun. Erst dieser Durchbruch ermöglichte den Aufschwung der modernen Transplantationsmedizin.
In Würzburg, so Dr. Lopau, dauerte es aber bis 1984, bis die erste Niere transplantiert wurde. Er gab dann einen kleinen statistischen Überblick über Erfolge und Wartelisten in Deutschland, wobei der Knick durch den so genannten „Organspendeskandal“ bildhaft deutlich wurde. Auf diesen ging Dr. Lopau natürlich näher ein und verhehlte auch nicht, dass durch die immer länger werdenden Wartelisten immer mehr Patienten vor einer Transplantation sterben.
Wie könnte die Zukunft der Transplantationsmedizin aussehen? Weniger Hoffnung setzt der Mediziner auf die Xenotransplantaton, also die Übertragung vom Tier auf den Menschen, denn selbst genmanipulierte Schweine können nicht alle Probleme lösen, vor allem nicht die der Virenübertragung.
Mehr erhofft er sich von Tissue engineering, also der Stammzellentherapie. Man könnte eine Niere, etwa einer Ratte, völlig von Zellen befreien und das Gerüst dann mit Stammzellen eines Empfängers bepflanzen. Mit dieser Hoffnung entließ Dr. Kai Lopau seine Zuhörer, die mit Beifall nicht geizten.
Anschließend war wieder großes Abschiednehmen angesagt, denn es stand die Heimreise an. Aber es bleibt ja immer ein Trost, nämlich der des Wiedersehens im nächsten Jahr, diesmal 2017 in Aachen.